Die
Katze, das unbekannte Wesen
Zuerst will
ich von der Mutterliebe der Katze gegenüber fremden
Kindern erzählen. Eines Tages fand ich ein kleines
miauendes Kätzchen mitten im Feld. Hungrig war
es, furchtsam und müde, dabei sehr scheu und
wild. Ich fing es mit Hilfe meines Dachshundes, der
mir das Tierchen stellte, brachte es nach Hause und
pflegte es nach Kräften. Miezchen gedieh vorzüglich,
spielte bald eine Rolle im Haus und begann, noch nicht
einmal halbwüchsig, die Jagd auf Mäuse und
Ratten, von denen es damals in meinem Haus wimmelte.
Hiermit gewann es unsere Zuneigung. Wir Kinder ärgerten
es wenigstens kaum und nahmen es abends regelmäßig
mit ins Bett. Weder Falschheit zeigte es noch Tücke,
ließ sich gut erziehen und wurde schließlich
dahin gebracht, daß es weder naschte noch unseren
Stubenvögeln zu Leibe rückte, obwohl sein
Jägertalent mit der Zeit immer mehr zunahm.
Im nächsten
Jahr warf die nun erwachsene Katze zum erstenmal
Junge. Wir nahmen ihr diese bis auf zwei gestreifte,
sogenannte Zyper, ab, die sie mit der größten
Hingabe pflegte. Da brachte man uns drei noch
blinde Eichhörnchen, die von uns großgezogen
werden sollten. Trotz aller Sorge und Pflege starben
sehr bald zwei davon, und wir mußten fürchten,
auch das dritte zu verlieren. In dieser Not kam
uns der Gedanke, der hilflosen Waise die säugende
Mutter zu geben. Die Katze war das, und sie erfüllte
das in sie gesetzte Vertrauen ganz. Mit Zärtlichkeit
nahm sie das fremde Kind unter ihre eigenen auf,
leckte, wärmte und nährte es aufs |
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beste und behandelte es von Anfang
an mit wahrhaft mütterlicher Hingebung. Das sonderbare
Kleeblatt gedieh ausgezeichnet. Die Kätzchen
wurden entwöhnt und weggegeben; das Eichhörnchen
aber blieb bei seiner Pflegemutter. Nunmehr schien
diese das reizende Geschöpf mit dreifacher Liebe
zu betrachten. Es war unmöglich ein innigeres
Verhältnis denkbar. Die Mutter rief nach Katzenart,
Hörnchen antwortete mit Knurren, und beide verstanden
einander.
Das hübscheste Schauspiel gewährten
sie, wenn die Katze das Pflegekind spazierenführte.
Leicht und anmutig schritt die Mutter voran, schwerfällig
humpelte das Eichhörnchen hintendrein. Jeden
Augenblick sah sich Miez nach dem Kleinen um; blieb
es zurück, so rief sie es durch Miauen heran,
schien es müde, so blieb sie geraume Zeit mit
ihm stehen. Nun sollte das Eichhörnchen unterrichtet
werden. Die Sache ging auffallend leicht, wenn die
Mutter eine natürliche Begabung ihres Pflegekindes
erproben und ausbilden wollte, schwer, wenn sie diesem
alle Kunststücke des Katzengeschlechtes beizubringen
versuchte. Mit wahrhaft komischer Überrschung
bemerkte die Lehrerin, daß ihr Zögling
der Anleitung zum Klettern und der notwendigen Warnungen
dabei gar nicht bedurfte, sondern von selbst schon
diese Kunst ausgezeichnet beherrschte. Mit Verwunderung
mußte sie dagegen erfahren, daß alle geschickt
auf die Erregung der Fanglust gerichteten Schwanzbewegungen
auf den Zögling gar keinen Eindruck machten.
Als die Katze ihr Pflegekind zum
erstenmal über einen hohen und schmalen Steg
nach dem jenseitigen Ufer unseres Dorfbaches führte,
schritt sie mit größter Vorsicht und unter
fortwährendem Zurufen voran; das Eichhörnchen
war aber eher am anderen Ufer als seine Führerin
und wurde deshalb von dieser sehr geliebkost. Später
kam es oft vor, daß bei den Spaziergängen
der nach und nach kühner werdende Pflegling in
den Bäumen von Krone zu Krone dahinlief, während
die Mutter am Boden dahinging. Bisweilen kletterte
sie ihm auch wohl bewunderungsvoll nach, setzte sich
still auf einen Ast und beobachtete mit Mutterlust
und einiger Angst die kühnen Sprünge des
bald auf den Bäumen heimischen Zöglings.
Dieser gehorchte seiner Pflegerin musterhaft. Sie
tat ihm ebensoviel zu Willen wie alle Katzen ihren
Kindern, brauchte aber, wenn sie Gehorsam verlangte,
nur ein einziges Mal zu rufen, um des gewünschten
Erfolges sicher zu sein. Ein Oberförster erzählt
auch von einem Hasen, der von einer Katze großgezogen
wurde.
Mit dem Menschen lebt eine Katze
immer in treuer Freundschaft, sobald sie von ihm ordentlich
behandelt wird. Normalerweise bringt sie ihm nicht
so viel Anhänglichkeit entgegen wie der Hund;
wo man ihr aber dieselbe Sorgfalt und Liebe entgegenbringt
wie diesem, wird auch ihre Anhänglichkeit an
den Herrn nicht gegenüber der eines Hundes zurückstehen.
Ein Hund, der sich selbst überlassen bleibt,
ist ein pöbelhaftes Vieh. Ich habe das hundertfach
in Ägypten gesehen, wo sich niemand der halbwild
herumlaufenden Köter annimmt. Sie werden flegelhaft,
tückisch, mißtrauisch und scheu.
Die Katzen unseres Hauses sind von
jeher sehr freundschaftlich von uns behandelt worden
und bewiesen uns immer wieder ihre große Zuneigung
und Anhänglichkeit. Zum Entsetzen der Frauen
unseres Hauses tragen sie regelmäßig ihre
frisch erlegte Beute uns vor Augen und verzehren sie
erst, wenn sie für ihre Tüchtigkeit und
Geschicklichkeit gelobt wurden.
Als Junge kannte ich zwei Katzen,
die nicht nur gegen Bekannte, sondern auch gegen Fremde
sehr artig waren. Hatten wir Kinder sie liebkost,
so begleiteten sie uns abends nach Hause. Wir hatten
zwar eine halbe Stunde weit zu gehen, doch schien
ihnen der Weg nicht zu lang zu sein; nie eher als
vor unserem Haus nahmen sie von uns Abschied.
Mein Freund Schach teilte mir einmal
folgende Geschichte mit: "Als ich noch im väterlichen
Haus weilte, hatte ich ein inniges Freunschaftsverhältnis
mit unserer alten Hauskatze, einem prachtvollen Zyper.
Riese, so hatten wir Kinder sie ihrer ansehnlichen
Körpergröße wegen genannt, fühlte
sich in hohem Grad zu mir hingezogen. Sie war meine
Nachbarin bei Tisch wie meine Schlafgenossin, und
selbst in gereiztem Zustand, wenn sie heftig mit dem
Schwanze hin und her peitschte, vermochte sie niemand
leichter zu beruhigen als ich. Nie ging ich in den
Wald, ohne daß sie mich begleitete. In meiner
Abwesenheit schien sie sich zu langweilen, und war
ich zu lange ihrer Gesellschaft entzogen, so ging
sie allein in den Wald, wohl in der Hoffnung, mich
dort zu treffen. Gewöhnlich erwartete sie meine
Ankunft und kehrte dann mit mir zusammen nach Hause
zurück. Dabei war sie sehr neugierig, und alles
fesselte ihre Aufmerksamkeit. Bog ich heimlich auf
einen Seitenweg ein, so war sie meist binnen kurzem
auf meiner Fährte und nahm, nachdem sie mich
sorgfältig berochen und geleckt hatte, ruhig
neben mir Platz, bis ich mich zum Weitergehen anschickte.
Als ich im Jahre 1834 auf ein zwei
Stunden von meiner Heimat entferntes Privatseminar
zog, war Riese auch dahin mein Begleiter und weilte
hier während meiner ganzen Studienzeit, dreieinhalb
Jahre lang. Hier machte ich eine höchst anziehende
Beobachtung. Riese war Mutter geworden und pflegte
zwei reizende Kinderchen. Da widerfuhr ihr das Unglück,
eingefangen und von den noch unbehilflichen Kleinen
getrennt zu werden. Ich konnte die Kätzchen unmöglich
umkommen lassen und sann auf Rettung. In der Nachbarschaft
hatte ebenfalls eine Katze geworfen, war aber ihrer
Jungen beraubt worden. Sie wurde als Pflegemutter
gewonnen. Bereitwillig unterzog sie sich der Pflege
der Stiefkinder, säugte, leckte und reinigte
sie aufs beste. Eines schönen Tages aber kam
die rechtmäßige Mutter zurück. Riese
war der Gefangenschaft entflohen und schnurstracks
heimgeeilt. Ich brachte sie zur Pflegerin ihrer Kinder.
Erfreut schnurrend und rufend eilte sie herbei und
legte sich neben diese und ihre Kinder ins Körbchen,
um auch ihrerseits die Pflichten der Mutter zu übernehmen.
Von nun an wurden die Kätzchen von beiden Müttern
gesäugt, gepflegt und erzogen. Bald war die eine,
bald die andere bei den Kleinen, bei Gefahr aber vereinigten
sich beide zu wütender Gegenwehr. Ein Fleischerhund,
der in Begleitung seines Herrn arglos auf den Hof
gekommen war, in dem sich gerade beide Katzen mit
ihrer Schar tummelten, wurde von den besorgten Müttern
mit solcher Wut angefallen, daß er fast das
Augenlicht eingebüßt hätte und schleunigst
das Weite suchte.
Nach meiner Studienzeit zog ich mit
Riese in die Heimat zurück. Später habe
ich das treffliche Tier allerdings aus den Augen verloren,
da wir uns auf immer trennen mußten. In meinem
jetzigen Wohnort hatte ich Gelegenheit zu ähnlichen
Beobachtungen. Ich zog mir eine Katze, die nicht allein
eine wahre Schönheit, sondern auch ein Muster
an Reinlichkeit und gutem Benehmen war. Die ganze
Nachbarschaft liebte das Tier und schenkte ihm oft
Milch. Oft begleitete es mich in den Wald und saß
dann stundenlang, weit von der Wohnung entfernt, witternd
und spähend am Rande des Weges, den ich zurückkommen
mußte. Um Mitternacht heimkehrend, vernahm ich
dann mitten im Wald ihre Stimme, und mit einem einzigen
Satz saß sie auf meiner Schulter. Nicht ein
einziges Mal war es nötig, die Katze zu strafen.
Es hätte wohl auch seinen Zweck verfehlt, denn
das Tier erwies sich schon gegen jedes harte Wort
empfindlich und mied nach einem solchen sogleich meine
Wohnung.
Diese Katze übernahm gern die
Pflege anderer Tiere. Einmal zog sie einen ganzen
Wurf junger Füchse auf und trug den Welpen, als
sie feste Nahrung annehmen konnten, fleißig
Ratten und Mäuse zu. Eines an diesem Tier ist
bis heute unerklärlich geblieben. Sie hatte in
ihren letzten Jahren ein junges Kätzchen zur
Welt gebracht, das sie anfangs zärtlich liebte
und mit dem sie manche Stunde verspielte. Plötzlich
aber verwandelte sich diese Liebe in unauslöschlichen
Haß. So sehr sich auch die Tochter bemühte,
die Zuneigung der Mutter zu erhalten, stets knurrte
und drohte sie. Zuletzt wurde die junge Katze der
eigenen Mutter förmlich zum Abscheu. Es wurde
so schlimm, daß ich die Alte - von dem Kätzchen
wollte ich mich nicht trennen - zu einer Nachbarsfamilie
in Pflege gab. Sie blieb dort bis zu ihrem Tode und
besuchte mich täglich. Ich hatte sie vierzehn
Jahre lang."
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